Aus "Unser Amerika - 500 Jahre indianischer Widerstand (Verlag Jugend und Volk 1992) - Auszug


Peru oder die Gunst der Stunde:

Tawantinsuyo, das Reich der Inka, durchlief im Jahre 1532 gerade eine Phase von Machtkampf und Bürgerkrieg, wie es immer wieder nach dem Tod eines Sapay Inka vorkam. Die Erbfolge war nie klar geregelt, und meist versuchten verschiedene Söhne des verstorbenen Herrschers, unterstützt durch Verwandte, Höflinge und Generäle, an die Macht zu gelangen. Huayna Capac, der letzte große Inka, war einer aus Europa eingeschleppten Seuche zum Opfer gefallen, die noch vor den Spaniern Peru erreicht hatte. Noch am Totenbett hatte er seine engsten Berater auf seinen Sohn Ninan Cuyuchi als Nachfolger eingeschworen, der auch Sohn der Coya, der Hauptfrau und leiblichen Schwester des Herrschers, war. Als eine Delegation höchster Beamter den Prinzen von seiner Designation informieren wollte, war auch dieser schon an der selben Krankheit gestorben. Nun erklärte sich Huascar, Sohn einer Nebenfrau aus inkaischem Hochadel, in der Hauptstadt Cuzco zum Sapay Inka. Damit waren aber die Generäle der Nordarmee, des größten stehenden Heeres des alten Amerika, mit dem Huayna Capac in den letzten Jahren ganz Ecuador und den Süden Kolumbiens erobert hatte, nicht einverstanden. Sie riefen einen anderen Prinzen zum Herrscher aus, und zwar Atahualpa, der von Kindheit an in ihrem Lager aufgewachsen war.
Es kam zum Krieg zwischen beiden Fraktionen, und nach anfänglichen Erfolgen Huascars und seiner von Adeligen geführten Hauptstadttruppe, begann sich die Erfahrung der erprobten Heerführer Atahualpas durchzusetzen. Als es ihnen schließlich gelang, Huascar selbst gefangen zu nehmen, schien die Thronfolge geregelt zu sein und Atahualpa als neuer Sapay Inka festzustehen. Er marschierte nun langsam in Richtung Cuzco, um sich dort krönen und somit endgültig legitimeren zu lassen. Seinen General Quzquiz sandte er in die Hauptstadt voraus, mit dem Auftrag die Panacas, die Abstammungsgemeinschaften des Hochadels, auszuschalten.
Zu diesem Zeitpunkt landete in Tumbez ein Trupp von 177 Spaniern mit 67 Pferden, 6 Musketen und 2 Feldschlangen unter der Führung von Francisco Pizarro. Der Inka wurde davon umgehend unterrichtet, maß dem Vorfall aber keine besondere Bedeutung bei, er hatte sich jetzt um Wichtigeres zu kümmern. Pizarro war schon einmal, noch in der Regierungszeit seines Vaters, 1525, in Tumbez aufgetaucht, dann aber rasch wieder verschwunden. Diesmal aber war er, trotz der lächerlichen Größe seiner Mannschaft, entschlossen aufs Ganze zu gehen und jenes geheimnisvolle Goldland "Piru", von dessen Existenz er erstmals bei der Durchquerung Panamas gehört hatte, zu erobern. Dabei hielt er sich vom ersten Tag an so sehr an das bewährte Vorbild der Eroberung Mexikos, dass es schwerfällt an einen Zufall zu glauben. Pizarro hatte sich 1528/29 am Spanischen Hof aufgehalten, um für sich und seinen Kompagnon Almagro Statthalterschaften über die zu erobernden Länder zu erbitten. Gleichzeitig hatte auch sein Cousin Cortes bei Karl V. vorgesprochen, über die erfolgreiche Eroberung berichtet und ausgewählte Beutestücke dem König überbracht. Es muss wohl angenommen werden, dass er bei dieser Gelegenheit seinem ambitionierten Vetter Unterweisungen in Diplomatie und im Umgang mit indianischen Fürsten gegeben hat.
Tawantinsuyo war zwar ein straff organisierter zentralistischer Staat, aber auch hier lag die Unterwerfung der meisten Völker erst eine bis drei Generationen zurück, und viele von ihnen trauerten immer noch der alten Unabhängigkeit nach. Die Huanca, einst Herren des zentralen Andengebietes, nahmen schon wenige Tage nach der Landung Fühlung mit den Spaniern auf und boten ihnen ein Bündnis zum Sturz der Inka an. Wenig später schlossen sich dieser Allianz die Canares aus dem südlichen Ecuador, die Huascar unterstützt hatten und dafür von Atahualpa grausam bestraft worden waren, sowie die seit Generationen aufständischen Chachapoyas des nördlichen Hochlandes an.
Auch innerhalb des inkaischen Adels gab es Gruppen, die mit Hilfe der Spanier Atahualpa zu stürzen trachteten, vor allem die Überlebenden des Massakers, das Quizquiz in seinem Auftrag unter den mit Huascar verbündeten Panacas in Cuzco angerichtet hatte. Dazu kamen als natürliche verbündete noch die Yanacuna, rechtlose Staatssklaven, die im ganzen Land in Minen, Latifundien und zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur eingesetzt wurden und nichts zu verlieren hatten. Alle diese Gruppen sahen nun, in einer Zeit des Umbruchs und der Schwächung der zentralen Institutionen durch den Thronfolgerkrieg, in dem unvermuteten Auftauchen der Eindringlinge eine Chance, ihre jeweiligen Interessen zu verfolgen. Bei einer Landung einige Jahre früher, als Huayna Capac noch uneingeschränkt regierte, oder auch einige Zeit später, nach der wahrscheinlichen Konsolidierung des Reiches unter Atahualpa, hätte es kaum jemand gewagt, die Spanier zu unterstützen, und der Eroberungsversuch eines so riesigen Reiches durch eine Handvoll Europäer wäre wohl fehlgeschlagen.
Atahualpa legte eine Rastpause auf dem Weg nach Cuzco ein und wartete auf die Überbringung seines gefangenen Bruders. Er lagerte mit etwa 50.000 Mann Gefolge in der Nähe von Cajamarca am Fuß der Anden. Bestens informiert über all ihre Bewegungen, ließ er die Spanier herankommen und wies ihnen die verlassene Stadt als Quartier zu. Mit freundlicher Neugierde empfing er eine Delegation, bestehend aus Hernando Pizarro und Hernan de Soto, an den heißen Quellen von Pultamarca, wo er sich gerade zum Baden aufhielt. Er warf ihnen vor, auf dem weg einige seiner Curacas, die Dorfvorsteher und Stammesfürsten, schlecht behandelt zu haben, versprach ihnen aber trotzdem, sie am nächste Tag in aller Freundschaft besuchen zu kommen. Noch in der Nacht postierte er 5.000 Lassoträger in den umliegenden Hügeln, um die zu erwartende Flucht der Eindringlinge zu verhindern.
Am 16. November 1532 rückte der Inka in vollem Herrscherornat mit prächtigem Gefolge in Cajamarca ein. Seine 12.000 Begleiter - Elitetruppen, Höflinge, Frauen - füllten den Hauptplatz der Stadt. Da ließ Pizarro von einem Turm aus Kanonen und Arkebusen abfeuern und gleichzeitig alle Trommeln schlagen. In mehreren Stoßtrupps bahnten sich die Spanier den Weg durch die verdutzte Menge und nahmen den Inka gefangen. Dann richteten sie unter dem Gefolge, das in seinem Schrecken kaum Widerstand leistete, ein furchtbares Blutbad an.

Am nächsten Tag wurde de Soto wieder ins Lager der Inka geschickt, um es nach Schätzen zu durchsuchen. Er fand nicht sehr viel, brachte aber am Rückweg die Frauen und den Hofstaat des Herrschers mit. Atahualpa residierte nun als Gefangener im Quartier der Spanier, führte aber seine Amtsgeschäfte weiter. Täglich kamen hunderte Abgeordnete und Boten aus allen Teilen des Reiches, um seine Anweisungen entgegenzunehmen. Für seine Freilassung versprach er den Spaniern, einen ganzen Raum bis zur Höhe seiner hochgestreckten Hand mit Gold zu füllen, zwei kleinere mit Silber. Pizarro ließ darüber einen Notariatsakt anfertigen, in dem eine Frist von 2 Monaten festgesetzt und die Teilnehmer an der Gefangennahme als alleinige Nutznießer genannt wurden. Es war nämlich vor kurzem Verstärkung unter Almagro in Tumbez eingetroffen, die von der Aufteilung der beute wohlweislich ausgeschlossen werden sollten.
Um eine mögliche Allianz zwischen den Spaniern und Huascar zu verhindern, wurde dieser unterwegs ermordet. Ungeklärt ist, ob die Anweisung dazu von Atahualpa kam, oder ob Chalicuchima aus Angst vor der Rache eigenmächtig handelte.
Inzwischen treffen aus allen Landesteilen Goldlieferungen ein. Um den Goldfluss zu beschleunigen, werden spanische Delegationen ausgeschickt, vom Inka mit allen Vollmachten versehen. Außer einigen wenigen Prunkstücken, die als Geschenke für den König bestimmt sind, werden Kunst- und Kultgegenstände unschätzbaren Wertes eingeschmolzen, darunter die Schätze des Sonnentempels. Als trotz aller Maßnahmen die Goldlieferungen nachzulassen beginnen und auch die vereinbarte Frist verstrichen ist, wendet sich die Stimmung im Lager gegen Atahualpa. Als dann noch dazu das Gerücht auftaucht,dass Atahualpa eine Revolte vorbereite, stellt ihn Pizarro vor Gericht und lässt ihn auf Grund fadenscheiniger Anschuldigungen zum Tode verurteilen. Um seinen Leichnam vor der Verbrennung zu bewahren, die ein Weiterleben im Jenseits unmöglich gemacht hätte, willigt der Inka ein, sich vor seiner Hinrichtung taufen zu lassen.
Um durch ihn regieren zu können, ernannte Pizarro nun einen unbedeutenden jungen Halbbruder Atahualpas, der zufälligerweise gerade anwesend war, zum Sapay Inka.