Ausstellung in Raabs/Thaya 1989 ("Heilige Experimente" - Indianer und Jesuiten in Südamerika/Katalog) - Auszug


Die Reduktionen des Gran Chaco:

Obwohl der Gran Chaco mit seinen Dornbüschen, Trockenwäldern und Sümpfen wenig Anziehung auf die Conquistatoren ausübte, zählte er doch zu jenen Gebieten im Inneren des Kontinents, die als erste erforscht wurden. Für die Spanier am Rio de la Plata war diese weite Ebene der Zugang zum Land der Reichtümer im fernen Westen, woher die goldenen und silbernen Gegenstände stammten, die sie bisweilen bei den Guarani-Indianern zu Gesicht bekamen.
Seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts durchzog daher eine Vielzahl von Expeditionen den Chaco auf der Suche nach einem sicheren Weg ins Andenhochland. Zu Ende des Jahrhunderts, als das Gebiet von spanischen Siedlungen umschlossen war, schien ein Erfolg gewährleistet zu sein.
Zu dieser Zeit begannen aber die Guaycuru-Stämme des östlichen Chaco, die Abiponer, Mocovier, Mbaya und Toba, sich Pferde nutzbar zu machen, die von den Spaniern ins Land gebracht worden waren. Sie gaben die Landwirtschaft, die sie bisher extensiv betrieben hatten, völlig auf und widmeten sich nun ausschließlich der Jagd und Sammeltätigkeit. Die neu gewonnene Mobilität nutzten sie aber auch für kriegerische Aktivitäten und Überfälle auf spanische Städte, die oft hunderte von Kilometern von ihren Jagdrevieren entfernt waren. Von der Kolonialmacht organisierte Strafexpeditionen stießen meist ins Leere, die Siedlungen am Rio Paraguay, aber auch Santa Fe und Corrientes am Rio Parana sowie Tucuman und Santiago del Estero im fernen Westen, wurden regelmäßig geplündert und die lebenswichtige Handelsverbindung mit Peru immer wieder unterbrochen.
Deshalb wurde, nach bewährtem Vorbild, die Gesellschaft Jesu eingesetzt um die wilden Reitervölker sesshaft zu machen und zu pazifizieren. Zu ersten kurzlebigen Reduktionsgründungen kam es bereits 1628 am Südwestrand des Chaco und 1641 bei den Mocoviern und Abiponen im Osten, dauerhafte Erfolge begannen sich aber erst ein Jahr später einzustellen.
Nachdem der große Aufstand der Chaco-Indianer von 1734-1736 mit Hilfe von Gueranie-Truppen der paraguayischen Mission niedergeschlagen worden war, verlangten die unterworfenen Stämme zum Teil selbst nach der Übersendung von Missionaren. 1740 wurde bei den Mocoviern die Reduktion San Javier gegründet, in der ab 1448 der Schlesier P. Florian Paucke, Autor des berühmten "Zwettler Codex 420", sehr erfolgreich tätig war, der 1763 mit demselben Stamm auch noch das Dorf San Pedro y Pablo aufbaute. 1748 gründete der Steirer P. Martin Dobrizhoffer, der eines der wichtigsten ethnographischen Werke des 18. Jahrhunderts verfasste, San Jeronimo im Gebiet der Abipones. Auch bei den Toba sowie im Norden bei den Zamucos, am Weg zur florierenden Chiquito-Mission,konnten sich die Jesuiten zu dieser Zeit dauerhaft festsetzen. Die Siedlungen befanden sich aber alle am Rande des Chaco und blieben von den benachbarten Missionszentren abhängig. Bis zur Vertreibung 1767 gelang es den Patres nicht, ein geschlossenes Missionsgebiet auszubauen, wie es bei den Guarani oder Chiquitanos der Fall war. Das Landesinnere blieb weitgehend frei von ihren Einflüssen.

Die indianische Bevölkerung des Chaco gliederte sich im 17. und 18. Jahrhunderts in zwei Gruppen mit sehr unterschiedlichen Lebensformen: in berittene und nicht berittene Stämme. Die nicht Berittenen hatten die ursprüngliche Wirtschaftsform beibehalten, in der ein rudimentärer Feldbau Jagd, Fischfang und Sammeltätigkeit ergänzte und die jeweiligen Aktivitäten stark vom Gegensatz zwischen Regenzeit und Trockenzeit bestimmt waren. Das Wild - vor allem Guanacos, Hirsche, Wildschweine, Strauße und verschiedene Nagetiere - wurde mit Speeren oder Pfeil und Bogen gejagt, in Fallen gefangen oder bei Treibjagden in Netze oder Zäune getrieben. Gesammelt wurden vor allem die Früchte des Algarroba-Baumes sowie verschiedene Samen, Wurzeln und wilder Honig.
Zur Zeit der Wanderungen wurde der gesamte Hausrat in Netzen oder Körben mitgetragen, die einfachen Behausungen konnten aus lokal vorhandenen Materialien rasch hergestellt werden.
Die sozialen Einheiten bildeten Familiengruppen, die sich zu Zeiten größeren Nahrungsaufkommens zu "Bands" von 50 bis 200 Personen zusammenschlossen. Die Führer dieser Gruppen hatten nur wenig Autorität und waren von ihren Erfolgen bei der Jagd und im Krieg abhängig. Vor allem waren es Angehörige der Sprachgruppen der Zumuco, Mataco und Mascoia, die aufgrund der geographischen und klimatischen Gegebenheiten den Gebrauch des Pferdes nicht übernahmen.
Die berittenen Stämme, die mit wenigen Ausnahmen zur Sprachfamilie der Guaycuru gehörten, konnten Dank des vergrößerten Aktionsradius die Produktivität ihrer Jagd- und Sammelzüge enorm erhöhen. Gemeinsam mit den Erträgen der Überfälle auf spanische Siedler und Bodenbauern, die durch die Verwendung des Pferdes erst ermöglicht wurden, erlaubte das den Verzicht auf eigene landwirtschaftliche Aktivitäten.
Diese wirtschaftliche Umwälzung hatte auch Auswirkungen auf die Sozialstruktur. Mit der zunehmenden Bedeutung der Kriegszüge stieg auch das Prestige der Krieger, die sich in eigenen Bünden zusammenschlossen, die bald den Charakter von Klassen erhielten. Bei den Abiponern sprachen deren Angehörige einen eigenen Dialekt und versuchten, sich auch in Kleidung und Schmuck von den einfachen Stammesmitgliedern zu unterscheiden. Kriegsgefangene bildeten als Sklaven die unterste Schicht der Gesellschaft.
Diese Ansätze zu einer Klassenorganisation zeigten sich besonders deutlich bei den Mbaya im nordöstlichen Chaco, dem kriegerischsten der Guaycuru-Stämme. Sie hatten schon vor Ankunft der Spanier die Oberhoheit über die Guana erlangt, Angehörige der Sprachfamilie der Arawaken, die als einzige im Chaco einen höher entwickelten Bodenbau betrieben. Nach der Übernahme des Pferdes entstand dann ein System mit vier kastenähnlichen Klassen: Adel, Krieger, Hörige und Sklaven. Die oberste Klasse war in sich noch in viele Abstammungslinien unterschiedlicher Bedeutung gegliedert, aus ihr stammten die Häuptlinge, deren Amt erblich war. Dann folgten die Krieger, die Hauptgruppe der eigentlichen Mbaya. Die dritte Schicht bildeten die Guana, die von den einzelnen Adelssippen abhängig waren, denen sie Tribute in Form von landwirtschaftlichen Produkten abliefern mussten, wofür sie Anspruch auf Schutz vor feindlichen Überfällen hatten. Gekaufte und bei Kriegszügen gefangene Sklaven befanden sich meist im Besitz der Adeligen, ihre Kinder konnten aber bisweilen diesem grundsätzlich erblichen Status entrinnen und in die Klasse der Krieger aufsteigen.
Die Mbaya übernahmen die sesshafte Lebensweise der Guana und kehrten nach ihren Kriegszügen immer wieder in ihre Dörfer zurück, die aus festgefügten Häusern bestanden. Die meisten anderen Guaycuru-Stämme wurden zu Reiternomaden, die den gesamten Hausrat und die Matten, aus denen sie ihre Hütten bauten, auf Lastpferden mit sich führten.
Die Payagua, die auch dieser Sprachfamilie angehörten, entwickelten eine ganz eigenständige Lebensform. Sie bewohnten die Ufer des Rio Paraguay und ernährten sich hauptsächlich von Fischen und wildem Reis, den sie vom Kanu aus ernteten. Mit ihren Booten, die bis zu 40 Mann fassten, unternahmen sie immer wieder Überfälle auf spanische Siedlungen entlang des Flusses.
Die jesuitischen Reduktionen im Gran Chaco erreichten zwar bisweilen ansehnliche Bevölkerungszahlen, waren aber bei weitem nicht so wohlorganisiert und prächtig ausgestattet wie jene östlich der Flüsse Parana und Paraguay. P.Paucke beschreibt den Zustand von San Javier zur Zeit seiner Ankunft folgendermaßen:
"Die Hütten der Indianer waren etwas weniger unförmlich als die unsere, stunden in keiner Ordnung, alle über einen Haufen und wir mitten unter ihnen. Im ganzen Dorf war kein Flecklein, welches einem Platz ähnlich gewesen wäre, keine Gassen formirt, die Hütten von Stroh, und samt den Dach 3, auch weniger Ellen hoch, also daß niemand darinnen stehen kunnte. Zwischen den Hütten Morast und Gestank genug, weil alles Vieh zur Nahrung des Volkes bey ihren Häusern geschlachtet wurde..... meine Wohnung samt der Kirche hatte keine Maur, sondern war mit frischen Ochsenhäuten umzogen, doch das Dach der Kirche war von Stroh und das Dach meiner Wohnung war auch von roher Haut. An einem bey der Kirche aufgerichteten Galgen hiengen zwey Glöklein neben welchen die Schulle für die Kinder stund..... das Altar in der Kirch war von ägyptischen Zieglein zusammengesetzt auf welchen ein Crucifix Bild und 2 Kerzen stunden. Die Leuchter waren zwey Ochsen Hörner mit Sand angefüllet, in welchen diese zwey Kerzen eingestecket waren."
Wie man an einigen eigenhändigen Zeichnungen P. Pauckes erkennen kann, bestand die Reduktion eigentlich aus mehreren Dörfern in denen sich die Häuser der Gefolgsleute formlos um das ihres Kaziken gruppierten. Zusammen bildeten sie in lockeren Reihen 3 Seiten eines unregelmäßigen Gevierts, dessen vierte Seite die Kirche mit Pfarrhaus, Friedhof, Obstgarten und Webschule bildeten. Ringsum lagen die Felder und "Viehhaltereyen" der Dorfgemeinschaft und der einzelnen Kazikenschaften.
Wie in den Guarani-Redutkionen gelang es hier den Missionaren, Pflugbau und Rinderzucht erfolgreich einzuführen und so das sesshafte Zusammenleben tausender Menschen zu ermöglichen. Zur Zeit seiner Blüte besaß das Dorf San Javier insgesamt 48.000 Rinder, San Pedro y Pablo erhielt bei seiner Gründung einen Grundstock von 700 Zuchtrindern, und auch an pflanzlicher Nahrung herrschte kein Mangel.
Diese Absicherung der Subsistenz war offenbar das Hauptmotiv für die Reitervölker der Abiponer, Mocovier und Mbaya, sich in den Reduktionen anzusiedeln. Sie ermöglichte es ihnen, jetzt noch längerdauernde Raubzüge durchzuführen, ohne die Nahversorgung der Familien zu gefährden. Außerdem stellten die Dörfer nah der spanischen Städte, mit deren Behörden sie Friedensverträge abgeschlossen hatten, sichere Regionen dar, in die sie sich nach erfolgreichen Überfällen mit ihrer Beute zurückziehen konnten. Die Raubzüge führten nun meist in weit entfernte Gebiete, die nähere Umgebung der Reduktion und der Einflußbereich ihrer spanischen Vertragspartner wurden verschont.
Die Patres versuchten zwar, diese Plünderungen zu unterbinden und die Krieger ständig in der Reduktion zu halten, waren darin aber meist wenig erfolgreich. 1767 beklagt sich der Gouverneur Morphy in einem Brief an den Vizekönig über die Abipones:
".... ständig ziehen sie aus auf Überfälle auf andere Städte und lassen dabei den Priester mit einigen sehr alten Indianern und Indianerinnen der gleichen Qualität zurück, und wenn sie in die Reduktionen heimkehren, so nur, um Hilfe zur Ernährung zu erbitten und den Schutz der Spanier unter dem Vorwand, daß sie Angst hätten vor anderen Nationen."
Nach der Vertreibung der Jesuiten und der Übernahme der Reduktionen durch weltliche Verwalter fühlten sich die Chaco-Indianer in ihrer Sicherheit bedroht und zogen sich ganz aus den Siedlungen zurück, wobei sie sogar die Gebeine ihrer Toten ausgruben und mitnahmen in die Freiheit ihres ursprünglichen Wanderlebens.